Was ist ein Landesaufnahmeprogramm?
Landesaufnahmeprogramme sind Programme, die durch das jeweilige Landesinnenministerium zur Aufnahme von geflüchteten Menschen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen eingeführt werden können. Solche Programme wurden ab 2013 von allen Bundesländern, mit Ausnahme Bayerns, für Familienangehörigen von geflüchteten Menschen aus Syrien aufgenommen und laufen teilweise noch fort. Aktuell gibt es Landesaufnahmeprogramme in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen. Ein Landesaufnahmeprogramm kann sich auf einen oder mehrere Staaten, aber auch anderweitig bestimmbare Ausländer:innengruppen begrenzen (Hertel/Karpenstein, ZAR 2015, 373 (373)). Eine solche Gruppe könnten z.B. auch die Menschen in Lagern auf den griechischen Inseln oder solche an der EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Bosnien sein, die sich in einer humanitären Notlage befinden.

Was ist die rechtliche Grundlage für ein Landesaufnahmeprogramm?
Landesaufnahmeprogramme stützen sich auf § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Ob ein Bundesland ein solches Programm aufnimmt, steht im Ermessen des Landesinnenministeriums. Das heißt, das Landesinnenministerium kann entscheiden, ob und wenn ja für welche Gruppe an Ausländer*innen ein Landesaufnahmeprogramm gestartet wird. Begrenzung erfährt dies durch das “Einvernehmen” des Bundesinnenministeriums. Zur Wahrung von Bundesinteressen kann das Bundesinnenministerium einen äußeren Rahmen festlegen, innerhalb dessen sich Landesaufnahmeprogramme bewegen müssen (Bergmann/Dienelt/Röcker, AufenthG, § 23). Abgesehen von diesem Rahmen besteht kein Spielraum des Bundesinnenministeriums, das Einvernehmen zu versagen.

Wie kann ein Landesaufnahmeprogramm etabliert werden?
Der einfachste Weg ein Landesaufnahmeprogramm zu etablieren, wäre die Implementierung durch das Landesinnenministerium. Das Landesinnenministerium kann sich entschließen, bestimmte Gruppen aufzunehmen (“weites Entschließungsermessen” (Heuser 2020: 2); es kann aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen sowie sich auf politische Interesse der BRD berufend anordnen, dass „[…] bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird“ (§ 23 Abs. 1 AufenthG; Karpenstein/Sangi 2020:3): z.B. Menschen aus einem  bestimmten Lager, einer Stadt, eines Schiffs, eine vulnerable Gruppe (Heuser 2020: 2). Da dies in absehbarer Zeit nicht aus Eigeninitiative geschehen wird, gilt es den zivilgesellschaftlichen Druck auf das Ministerium zu erhöhen und die Aufnahme zu fordern.

Warum gibt es kein Landesaufnahmeprogramm in NRW oder in anderen Bundesländern?
Wie bereits in den vorherigen Fragen angeklungen, bestehen schon seit Jahren Landesaufnahme-programme für Familienangehörige von syrischen Geflüchteten. In Anbetracht der aktuellen Lage in den griechischen Lagern und in Bosnien ist eine schnelle Aufnahme geboten. Zudem haben die Bundesländer Berlin, Thüringen und Bremen Aufnahmeprogramme für Menschen aus den griechischen Lagern verabschiedet. Die praktische Umsetzung scheiterte jedoch bislang an der Verweigerung des Bundesinnenministeriums (BMI), sein Einvernehmen zu erteilen (§ 23 Abs. 1 S. 3 AufenthG).

In NRW gibt es kein entsprechendes Landesaufnahmeprogramm, da es im Innenministerium offensichtlich am politischen Willen fehlt, Menschen in Not zu helfen und eine Perspektive zu geben. Dies gilt es zu ändern.

Was wurde gegen die Verweigerung durch den Bundesinnenminister schon getan?
Eine Bundesratsinitiative, ausgehend von Berlin und Thüringen hat 2020 versucht, den §23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes zu ändern, um ohne Erlaubnis der Bundesregierung Landesaufnahmeprogramme umsetzen zu können. Die Initiative sah vor, an Stelle des Einvernehmens mit dem BMI (wie bereits bei der Aufnahme durch den Bund nach § 23 Abs 2) das „Benehmen“ mit dem BMI (= Information und Stellungnahme) ins Gesetz zu schreiben (Lockerung §23, Abs.1). Die Initiative scheiterte.

Einige Jurist*innen sind der Meinung, dass die Ablehnung des Innenministers nicht durch die Länder hingenommen werden muss, da sie die Verfassungsmäßigkeit des Vorbehalts als fragwürdig betrachten. Grund ist der Grundsatz der Landeseigenverwaltung, die Einflussrechte des Bundes hierauf sind streng beschränkt (gem. Art. 84 GG). Der Ermessensspielraum des BMI zur Ablehnung des Einvernehmens mit einem Landesaufnahmeprogramm sei sowohl inhaltlich als auch verfahrenstechnisch begrenzt [II. 4. b)], so z.B. die Juristin Helene Heuser (2020:3). Der Spielraum bezieht sich vorrangig auf die Wahrung der Bundeseinheitlichkeit. Es entspricht also eigentlich der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung, dass die Aufnahme von Flüchtenden aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln von der Bundesregierung nicht verweigert werden darf (Karpenstein/Sangi 2020:3).

Bei einer rechtswidrigen Ablehnung des Einvernehmens zu einer Landesaufnahmeanordnung durch das BMI, etwa, weil es sich nicht auf die Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bezieht, kann das betroffene Land das Bundesverwaltungsgericht anrufen oder die Verfassungsmäßigkeit der Einvernehmensvorschrift vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen (Heuser 2020:3).

Die Berliner Senatsverwaltung hat gegen das BMI wegen der Verweigerung des Einvernehmens im November 2020 Klage erhoben, um klären zu lassen „unter welchen Voraussetzungen das BMI das Einvernehmen zu Landesaufnahmeprogrammen der Länder verweigern darf“ (Pressemitteilung der Senatskanzlei v. 17.11.2020). Die Verweigerung des Einvernehmens scheint eher politisch motiviert denn rechtlich begründet.

Wie ist die Situation in NRW und welche Rolle spielen dabei Kommunen?
In NRW gibt bisher kein Landesaufnahmeprogramm, weil die Landesregierung den notwendigen Willen nicht aufbringt. Sie ist der Meinung, dass die bisherigen Aufnahmemöglichkeiten durch den Bund ausreichend seien. Die Forderung der Grünen nach einem Landesaufnahmeprogramm im Jahr 2020 wurde mit Stimmen von CDU, FDP und AfD abgelehnt. Zudem hat die Landesregierung die Bundesratsinitiative auf Änderung des Einvernehmens in ein Benehmen aus dem gleichen Grund nicht unterstützt.

Viele Kommunen in NRW sehen das aber richtigerweise anders: Sie sind aufnahmebereit und fordern zugleich Aufnahme durch das Land. 60 Städte in NRW (Stand Jan.2021) sind schon sichere Häfen. Das heißt, sie sind bereit, mehr geflüchtete Menschen aufzunehmen, als sie nach dem Königsteiner Schlüssel müssten (vgl. § 45 Abs. 1 AsylG). Nun kommen auch noch zivilgesellschaftliche Akteure dazu, die aufzeigen, dass noch mehr Platz vorhanden ist. Die Landesregierung sollte sich mit anderen Ländern und Akteur:innen, wie z. B. den sicheren Häfen, Flüchtlingsräten, Kirchen und Wir haben Platz zusammenschließen und politischen Druck ausüben.

Die Landesregierung in NRW könnte jetzt schon ein Landesaufnahmeprogramm starten und das Einvernehmen Seehofers einfordern. Dazu braucht es aber Druck aus den Kommunen! Das Ziel ist: NRW zum Sicheren Hafen zu machen!

Warum können die Kommunen nicht direkt Menschen aufnehmen?
Die Erteilung von Visa zur Einreise nach Deutschland liegt in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amts (§ 71 Abs. 2 AufenthG). Kommunen selbst können ohne ein Landesaufnahmeprogramm durch das jeweilige Landesinnenministerium und somit ohne die Erlaubnis des BMI keine Person, die sich außerhalb der Bundesrepublik bewegt, aufnehmen.

Welchen weiteren rechtlichen Möglichkeiten gibt es zurzeit, Geflüchtete in der Bundesrepublik aufzunehmen? Wie können Kommunen unterstützt werden?
Es gibt EU-Resettlement-Verfahren, d.h. dass besonders schutzbedürftige Geflüchtete, deren Asylverfahren in einem Drittstaat positiv entschieden wurde (z.B. in der Türkei durch den UNHCR), in Deutschland aufgenommen werden können (Rechtsgrundlage der Aufnahme ist  § 23 Abs. 4 AufenthG). Die Bundesrepublik hatte 5.500 Plätze im Jahr 2020 zur Verfügung. Wir fordern , die vorhandenen Resettlement-Kapazitäten auszuschöpfen und zu erweitern. Die deutliche Erweiterung der Kapazitäten fordern auch andere, z.B. der Deutsche Caritas Verband (s. hier).

Gibt es weitere Ideen, wie Menschen auf der Flucht durch Kommunen unterstützt werden können?
Die Ideen und Ansätze, wie Kommunen flüchtende und geflüchtete Menschen unterstützen können, sind zahlreich und können hier nur beispielhaft Erwähnung finden.

In einem Gutachten von Helene Heuser heißt es, „die Bundesregierung [begrüße] ausdrücklich die Bereitschaft von Kommunen zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen. Aufbauend auf dieser Aufnahmebereitschaft der Kommunen, könnten die Länder ein entsprechendes Aufnahme-programm beschließen“ (Heuser 2020: 30).

Gesine Schwan (SPD) schlägt vor, Kommunen rechtlich und finanziell zu stärken. Dies könnte durch ein eigenes und neu zu schaffendes kommunales Aufnahmeprogramm geschehen, oder – wie dies die Juristin Helene Heuser vorgeschlagen hat – durch zusätzliche Visa zur kommunalen Aufnahme. Auch diese Forderung müsste über die Landesregierung erfolgen; die Kommunen müssten darüber ins Gespräch mit den Landesregierungen kommen. Zur finanziellen Unterstützung könnte ein Solidarity Cities Fonds aufgelegt werden.

Auch viele geflüchtete Menschen, die schon in Deutschland sind, aber deren Aufenthalt unsicher ist, brauchen Unterstützung. Allen voran sind geduldete Menschen zu nennen, die über Jahre und Jahrzehnte in prekärsten Situationen leben – diese Kettenduldungen müssen zugunsten eines sicheren Aufenthalts und damit der Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe beendet werden!

Warum unterstützt „Wir haben Platz“ keine Geflüchteten, die in Deutschland leben? 
Im Kontext Flucht und Migration haben wir es mit verschiedenen Problemlagen zu tun. Zum einen scheitern Geflüchtete an der Festung Europa, zum anderen gibt es verschiedene Problemlagen für geflüchtete Menschen in Deutschland. Unsere Initiative konzentriert sich auf die Probleme an den europäischen Außengrenzen und möchte die Aufnahme ermöglichen. Wir sind uns bewusst, dass die Aufnahme von geflüchteten Menschen in humanitären Notlagen auch zum Aufgabenkreis des Staates gehört. Die Bundesregierung sowie die Landesregierungen kommen dabei ihren Aufgaben jedoch nicht ausreichend nach. Deshalb sehen wir es als notwendig an, aus der Zivilgesellschaft heraus auf die desaströse Lage in den griechischen Lagern und in Bosnien hinzuweisen und selbst aktiv zu werden.

Quellen: